Lernen ein Leben lang!
Schon die Schulwahl war sehr spannend. Mein Name ist Angelika Weber und ich
bin im ländlichen Bereich, also auf einem Dorf, groß geworden. Als Mädchen
braucht man nicht weiterführende Schule. Die Volksschule, Abschluss und
dann Verkäuferin in der väterlichen Metzgerei, heiraten, Kinder kriegen, so wie es
früher war, das war die Zielrichtung meiner Eltern.
Meiner damaligen Lehrerin in der Volksschule habe ich es zu verdanken. dass sich
mein Vater umstimmen ließ. Meine Noten waren so gut, dass ich nach der damals
fünften Klasse tatsächlich noch auf die Ricarda-Huch-Schule, das
Mädchengymnasium in Gießen, wechseln durfte. Was für ein Glück, allerdings unter
der Maßgabe, keine schlechten Noten mit heimzubringen, sonst sei die Schule
beendet und die Berufswahl Fleischereifachverkäuferin vorgegeben.
Ihr könnt mir glauben, das war Anreiz genug. Die Bedingungen an der RHS waren
für mich optimal. Die Lernanreize, der Klassenzusammenhalt bis hin zum Abitur,
die Lehrerschaft waren eine super gute Grundlage für das, was später kommen sollte.
Schlechte Noten waren unbedingt zu vermeiden, dies hielt ich bis zum Abitur durch.
Da meine Mutter ab meinem 10. Lebensjahr sehr krank und ihr Lebensaufenthalt
sehr häufig in der Uniklinik in Gießen war, konnte ich den Schul- und Mamabesuch
sehr gut verbinden. Entweder schon früh vor oder sehr häufig nach der Schule. Aber
auch den vorgegebenen Verpflichtungen zu Hause, putzen, helfen in der eigenen
Metzgerei, kam ich ohne Murren nach, denn mein Ziel war es, mein Abitur zu absolvieren.
Sehr schnell wuchs der Berufswunsch Medizin zu studieren und Ärztin zu
werden. Ich konnte mich erfolgreich wehren, als Hilfsverkäuferin im Laden
eingesetzt zu werden, vielmehr bot ich an, in der Schlachterei zu unterstützen. So
lernte ich Presskopf füllen und Brat- und Fleischwurst herzustellen. Auch das
erledigte ich ohne Murren und organisierte so meine Freizeit (Turnen, Leichtathletik,
Rote-Kreuz-Mitglied, später Volleyball und Handball, Treffen mit Freunden) um die
Unterstützung im elterlichen Betrieb herum.
Jetzt galt es nur den notwendigen NC zu erreichen, aber auch das war für mich kein
Problem. Jedoch wie es zur damaligen Zeit im ländlichen Bereich im Dorf für
Mädchen üblich war, konnte es ja nicht sein, dass man sich nicht doch noch für einen
richtigen Beruf bewerben sollte. Nur ein Studium über Jahre, was ist mit der Ehe,
mit Kindern und Haushalt? Zumal mein Vater bei seinem Bruder die negative
Erfahrung machen durfte, dass dieser über viel zu lange Jahre Architektur studierte
und ein Ende nicht in Sichtweite war.
Also wurde ich im Sommer 1977 einem guten Kumpel meines Vaters, der damals
Polizeidienststellenleiter in Wetzlar war, vorgestellt, der wiederum anmerkte, dass
die Kriminalpolizei in Hessen insbesondere Frauen suchte. Der nächste zukunftsweisende
Besuch war dann bei dem Kripo-Leiter des Kriminalkommissariats Limburg-Weilburg.
Nun gut, was mir dort alles erzählt wurde, klang richtig spannend, Verbrechen zu bekämpfen
und aufzulösen und als "Polizei, Dein Freund und Helfer" tätig zu sein.
Da ich meinen NC für das Medizinstudium im Blick hatte, schadete es ja nicht, sich
beim Vater mit einer einzigen Bewerbung für einen ordentlichen Beruf beliebt zu
machen. Ich wurde zum Test bei der Polizei Hessen eingeladen und erhielt
zusammen mit weiteren 15 Mädels tatsächlich die Einladung zur Ausbildung im
Mittleren Dienst für die Kriminalpolizei in Hessen, direkt mit einem Einstiegsgehalt
von damals ca. 1.400,00 DM. Tja, was nun, Studium und weiter finanzielle
Abhängigkeit von den Eltern oder tatsächlich erst einmal die Ausbildung bei der
hessischen Kriminalpolizei? Nun dachte ich, erst mal die Ausbildung und Geld
sparen und dann ist immer noch der Weg zum Medizinstudium offen.
Bei der Kriminalpolizei habe ich damals alle Sparten der Kriminalitätsbekämpfung
in der Ausbildung im Kriminalkommissariat Limburg-Weilburg durchlaufen. Es war
so spannend und die Ausbildung so gut, dass ich weiter in diesem Berufsfeld arbeiten
wollte. Damals waren die Schwerpunkte Rauschgiftbekämpfung, organisierte
Kriminalität, Sexualstraftaten, Raub- und Tötungsdelikte aber auch
Flughafenausbau Frankfurt und dortige Einsatzlagen, Demonstrationen sowie die
Terrorismus- bekämpfung im Visier der Kriminalpolizei.
Tatsächlich lernte ich einen Mann bei der Polizei kennen, gründete eine Familie, drei
Mädels, geb. 1984, 1986 und 1988, und konnte dies mit dem Beruf sehr gut vereinbaren.
Hier hatte ich sogar noch die Chance, Ende der 80er mein Studium an der
Fachhochschule in Wiesbaden für den gehobenen Polizeidienst zu absolvieren. Über
die Station Kriminalpolizei beim Polizeipräsidium in Frankfurt kam ich in eine
Ermittlungsabteilung in das Hessische Landeskriminalamt, wo ich bis heute tätig
bin.
Lernen musste ich bis zum heutigen Tag und mein ehemaliger Abteilungsleiter sagte
mal zu mir, dass wir bis zum letzten Tag, insbesondere in unserem Beruf, immer
noch dazulernen. Begonnen haben wir mit dem Berichtschreiben an der
Schreibmaschine, die gute alte Adler, für die Akte immer mit mehreren
Durchschlägen - Kopierer waren damals nur wenige vorhanden - inzwischen haben
wir alle einen Computer, sind bundesweit vernetzt und müssen tagtäglich uns mit
neuen Medien auch in der Digitalisierung auseinandersetzen und weiterbilden. Die
Grundbasis zum Lernen wurde in der Schule gelegt, der RHS, wo sehr großen Wert
auf eine gute Allgemeinbildung gelegt wurde, was mir bis heute sehr geholfen hat.
Inzwischen leite ich ein Hauptsachgebiet, personell so groß wie damals das
Kriminalkommissariat mit ca. 50 Beschäftigten. Ich hatte zusätzlich die
Möglichkeit, mich durch Führungs- seminare und Speziallehrgänge, die bei der
hessischen Polizei oder auch im Bund angeboten wurden, weiterzubilden und zu
entwickeln. Dies ist ein sehr positiver Baustein innerhalb der Polizei.
Seit knapp 20 Jahren bin ich in bundesweiten Projekten als Vertreterin des Landes
Hessen tätig, um im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung mitzuwirken. So wurde
mir die Möglichkeit geboten, über den Tellerrand im eigenen Land zu schauen.
Die Berufssparte ist so vielfältig, spannend und die Aufgaben, denen wir uns zu
stellen haben, sind so abwechslungsreich, so dass ich den eingeschlagenen Weg bis
heute nicht bereue. Die Grundlagen zum "Lernen ein Leben lang" wurden zum einen
in der familiären Umgebung aber auch in der Ausbildung im Gymnasium der RHS
gelegt. Ich hatte später das Glück, dass ich im Beruf ebenfalls weiter gefordert und
gefördert wurde und bis zum heutigen Tag weiterlernen durfte.
Die Zeiten im Beruf sind nicht immer angenehm, es kommt zu hohen Stressfaktoren,
die insbesondere durch das polizeiliche Gegenüber gesetzt werden. Doch auch hier
gilt es, mit Ruhe und Gelassenheit den weiteren Lebensweg sowohl beruflich als
auch privat weiterzugehen. Hektik hilft keinem, weder in der
Verbrechensbekämpfung noch zu Hause im familiären Umfeld. Positiv nach vorne
schauen und im menschlichen Miteinander die Aufgaben angehen, waren einer
meiner Schwerpunkte sowohl beruflich als auch privat.
Lernen ein Leben lang gilt auch im privaten Bereich, um sich mit privaten
Schicksalsschlägen auseinanderzusetzen und sich neuen Situationen und
Lebensbedingungen zu stellen und diese akzeptieren.
Deshalb kann ich dem Zitat von Konfuzius nur zustimmen:
Der Mensch hat dreierlei Wege, klug zu handeln
durch Nachdenken, das ist der edelste
durch Nachahmen, das ist der einfachste
durch Erfahrung, das ist der bitterste
Bis heute bin ich sehr glücklich über die sehr gute Ausbildung in der elterlichen
Familie, an der RHS, bei der Polizei, in der eigene Familie mit drei sehr
liebenswerten Töchtern sowie über die Berufswahl und gehe weiter im Leben nach
dem Motto "Lernen ein Leben lang".
Angelika Weber (Abiturjahrgang 1978)